Zum Inhalt springen

Trauerfeier für konfessionslos Verstorbene ohne Angehörige

Grab
Datum:
Veröffentlicht: 3.7.19
Von:
Christine Reuß

Abschiedsfeier im Bamberger Hauptfriedhof

Ein Vertreter des Hospizvereins Bamberg gestaltet eine würdige Bestattungsfeier im Friedhof.

Mein Name ist Michael Maisch. Ich spreche hier zu Ihnen als Vertreter des Hospizvereins Bamberg. Wir führen die Abschiedsfeier und die Beisetzung durch für Menschen, die auf Anordnung des Sozialamtes bestattet werden und die sich zu keiner Religionsgemeinschaft bekannten.

Sehr geehrte, liebe Anwesende,

wir sind heute hierhergekommen, um zwei Menschen die letzte Ehre zu erweisen. Da es niemanden gibt, der sich um ihre letzten Angelegenheiten kümmert, werden sie auf Kosten des Sozialamtes bestattet. Sie waren aber Menschen und die Würde des Menschen endet nicht mit seinem Tod. Deshalb wollen wir versuchen, den beiden Verstorbenen noch einmal ein Gesicht zu verleihen und sie würdig zu verabschieden.
Das Wenige, was wir von ihnen wissen, manches davon auch nur vermuten, sei hier berichtet:

K. H. starb am 27. März dieses Jahres im Alter von 92 Jahren im Antonistift hier in Bamberg. Geboren wurde er am 14. Juli 1926 in Köln. Er hatte einen Bruder, der aber schon früher verstorben ist. Da er als Heimkind aufwuchs, musste er die damals üblichen Erziehungsmaßnamen über sich ergehen lassen. Das heißt, er wurde oft geschlagen und es gehörte zur Prügelstrafe in den Heimen dazu, dass er die einzelnen Schläge laut mitzählen musste.
Acht, neun, zehn; einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzig: oft haben ihn die Pflegerinnen und Pfleger im Antonistift laut zählen gehört, wenn ihn seine Vergangenheit mal wieder einholte.
Aber es gab auch eine ganz andere Seite im Leben des K. H. Früher war er ein attraktiver Mann, groß, hübsch, schlank. Er hatte Wert gelegt auf gute Kleidung und auf Sauberkeit. Ja, er hat sogar als Model gearbeitet und so seine Talente eingesetzt.
Außerdem war er gebildet, hat viel gewusst. Insgesamt aber hat er mit dem Pflegepersonal nicht viel und besonders nicht gerne über seine Vergangenheit gesprochen. Bekannt ist nur noch, dass er zuletzt mit seiner Frau in der Egelseestraße gewohnt hatte. Nach deren Tod begann er, zunehmend die Kontrolle über sein Leben zu verlieren, und so kam er vor mindestens 7 Jahren ins Altenheim.
Im Lauf der Zeit wurde der Verstorbene immer mehr pflegebedürftig und wechselte auf die dafür eingerichteten Stationen. Manchmal besuchte ihn ein Freund, sonst lebte er im Heim zurückhaltend anderen gegenüber. Wenn er im Rollstuhl sitzend seine Mahlzeiten im Speiseraum einnahm,  blieb er still, führte keine Gespräche mit den anderen Mitbewohnern. Er war Vegetarier, aß also kein Fleisch. Ab und zu gönnte er sich ein Glas Rotwein.
In seiner letzten Lebensphase konnte K. H. sich sprachlich nicht mehr so gut äußern. Eine zunehmende Ängstlichkeit beherrschte ihn. Er ließ sich bei den erforderlichen Pflegehandgriffen nur noch sehr ungern anfassen. „Geh weg, geh weg“ waren häufig seine Worte. Als es dann ans Sterben ging, hat er sehr dagegen angekämpft.
Nur zu Schwester Vicky hatte er Zutrauen und hat sie sogar angelächelt. In der Todesnacht hatte sie den Eindruck, dass er noch mit etwas abrechnen wollte. Als sie ihm vorschlug, mit ihm gemeinsam zu beten, was er zuvor immer abgelehnt hatte, stimmte er zum ersten Mal zu. K. H. starb am 27. März um 23 Uhr.

Am 13. April 1519 wurde Caterina de’ Medici in Florenz geboren. Genau 427 Jahre später kam in Forchheim B. W. zur Welt. Beiden Frauen waren eine Resolutheit und ein hohes Maß an Selbstbestimmung zu eigen. Die Eltern von B. W. waren Kaufleute mit einem Geschäft in Forchheim. Es gibt auch noch eine ältere Schwester.
Später heiratete die Verstorbene einen Herrn D. Aus dieser Ehe stammt der Sohn Günther. In zweiter Ehe war sie verheiratet mit einem Herrn G., dessen Nachnamen sie bis zuletzt trug.
B. G. also erlernte den Beruf der Krankenschwester in Bamberg. Hier bildete sie sich als Hygienefachkraft weiter und bekam eine Stationsleitung übertragen. Ihre berufliche Karriere führte schließlich zur Übernahme der Pflegedienstleitung am Stuttgarter Marienhospital, einem der großen Krankenhäuser in der Landeshauptstadt und eines der ersten in Süddeutschland mit einer Palliativstation.
Mit dem Eintritt ins Rentenalter kehrte B. G. zurück nach Bamberg, wo sie in einer Wohnung in Kramersfeld lebte. Das Schicksal schlug sie jedoch mit einer Krankheit, die ihrem starken Verlangen nach Selbstständigkeit und Würde diametral entgegen stand. Die amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS genannt, ist eine nicht heilbare Erkrankung des Nervensystems, die zu Ausfällen der Bewegungs-, Schluck- und Atemmuskulatur und schließlich zum Tod führt. Im Jahr 2015 wurde bei der Verstorbenen diese Diagnose gestellt.
Ein Jahr später begannen ehrenamtliche Begleiterinnen und Begleiter des Bamberger Hospizvereins sie regelmäßig zu besuchen. Konnte sie zu Anfang noch selbst die Wohnungstüre öffnen und sich mit Sprechen verständlich machen, verlor sie diese und andere motorische Fähigkeiten immer mehr. Am Ende konnte sie nur noch im Bett liegen und sich über eine Alphabettafel, die man ihr zeigte, verständlich machen.
Aber ihr Wille zu Selbstbestimmung und Würde blieb ungebrochen. Und sie blieb bis zuletzt geistig völlig klar. Dies zusammen konnte sich in scheinbaren Nebensächlichkeiten äußern, wie dem Wunsch, dass ihre Haare immer gerichtet waren, regelmäßige Fußpflege gemacht und die Fingernägel stets farbig lackiert wurden. Oder auch in minutiösen Anweisungen, wenn Essen für sie gekocht wurde, welcher Topf auf welcher Herdplatte zu benutzen und wie der Herd sauber zu wischen sei.
Ja, manchmal konnte die Verstorbene auch hart, fast schroff sein. Das brachte so manche Hospizbegleiterin an ihre Grenzen. Aber Frau G. akzeptierte auch ein „Nein“, wenn man mit ihr ehrlich und auf Augenhöhe kommunizierte und ihr Zeit zum Nachdenken gab.
Bis zuletzt zeigte sie sich sehr dankbar und deutete auf der Alphabettafel immer wieder die Buchstabenfolge d a n k e.
Gegen ihren Willen wurde B. G. am 12. Februar dieses Jahres zur stationären Pflege ins Seniorenhaus St. Vitus in Hirschaid eingewiesen und für nicht geschäftsfähig erklärt. Das geschah, ohne dass sie zuvor von dem Gutachter befragt wurde. Mit Empörung wehrte sie sich gegen diesen eklatanten Verstoß gegen ihre Würde und Selbstbestimmung.
Mit Unterstützung von Hospizmitarbeitern fand dann im Heim eine Anhörung durch eine Richterin mit Hilfe der Alphabettafel statt. Die Richterin versprach ihr darauf hin, dass ein neues Gutachten erstellt wird. In diesem Bewusstsein, ernst genommen zu werden, starb B. G. am 10. April 3 Tage vor ihrem 73. Geburtstag.

Zwei Menschenleben, zwei Schicksale gingen zu Ende. Wo sind die Verstorbenen jetzt, was überdauert ihr Sterben, gibt es überhaupt etwas, das nach dem Leben auf dieser Erde fortbesteht? Niemand kann mit Gewissheit sagen, was nach unserem Tod bleibt außer der Erinnerung. Vielleicht kann ein Gedicht ein wenig Trost spenden, in welchem versucht wird, das Mysterium des Todes in Worte zu fassen:

Ich werde geboren und du fragst:
Woher kommst du?
Ich sage: Von dort, woher wir alle kommen.

Ich sterbe und du fragst:
Wohin gehst du?
Ich sage: Dorthin, woher wir alle gekommen sind.

Du fragst: Wo ist dieser Ort?
Ich sage: Dort, wo du ihn suchst.

Vielen Dank für Ihre  Anteilnahme.