Erfahrungsbericht zu den Führungen "Noch mal leben vor dem Tod"
Ich hatte mich insoweit vorbereitet, als ich mir die Unterlagen von der Website der Hospiz-Akademie herunterlud und durchlas. Beate Lakotta, die Journalistin, 45 Jahre alt und Walter Scheels, Fotograf, 74 Jahre alt, hatten zusammen über ein ganzes Jahr unheilbar Kranke und Sterbende in verschiedenen Hospizen in Berlin und Hamburg begleitet. Alle Patienten waren einverstanden, sich kurz vor und unmittelbar nach dem Tod porträtieren beziehungsweise fotografieren zu lassen.
Den wunderbaren Bildband hatte ich schon zuvor im Hospizhaus gelesen und betrachtet und war sehr beeindruckt von den ausdrucksvollen Fotos, fast noch mehr aber von den sehr einfühlsam geschriebenen Texten.
Ich konnte einen Raum nutzen, der keine Fotos enthielt, dafür aber genügend große Sitzkissen, so dass die Schüler sich auch setzen konnten, wenn sie wollten. Ich gab eine kurze Einführung darüber, wie die Ausstellung entstanden war und schlug dann vor, dass sie alleine oder gemeinsam die Ausstellung anschauen sollten. Jeder sollte sich ein Bild aussuchen, das ihn / sie besonders beeindruckte und sollte davor etwas länger stehen, sich den Text und das Foto genau betrachten und auf sich wirken lassen.
Das Angebot, jederzeit zu unterbrechen und zu mir in das freie Zimmer zu kommen, falls es ihnen zu sehr zusetzte, dies alles zu sehen, machte ich ihnen auch. Ich schlug vor, dass wir anschließend, nach ca. 30 Minuten, dann gemeinsam über alles reden und dass sie dann auch gerne Fragen zur Hospizarbeit stellen könnten.
Ich fragte den Lehrer ob und wie er seine Klasse auf die Ausstellung vorbereitet habe. Er erzählte mir, dass die Ausstellung sozusagen der Abschluss einer Unterrichtsfrequenz sei über Leben und Tod. Die Klasse kam gerade am Vortag von zwei Besinnungstagen in einem Landschulheim zurück - es könnte sein, dass einige etwas müde seien, sagte er noch.
Alle Schüler blieben bis zum Schluss in den Räumen, einige standen sehr betroffen vor den Bildern, andere hielten sich an den Händen. Nach der vereinbarten Zeit, nein auch schon vorher, kamen sie so nach und nach wieder zu mir in den Raum. Sie waren sehr ergriffen aber gefasst. Ich fragte, wer schon mal einen echten Toten gesehen habe - es meldeten sich drei, sie erzählten vom Tod der Oma und oder des Opas. So langsam tauten sie auf und sprachen über ihre Gefühle, über die Angst, die die Fotos zum Teil ausgelöst haben, über die Texte, und dann kamen auch Fragen zum Hospiz.:
„Ist es nicht gruselig, wenn sie bei den Sterbenden sitzen? Wie und über was reden sie mit denen? Was machen Sie, wenn einer stirbt und Sie sind dabei? Wieso machen Sie das überhaupt? Können Sie dann nachts schlafen?“
Sie waren irgendwie beruhigt als ich ihnen erzählte, dass es oft sehr gute und interessante Gespräche seien, die ich mit den Patienten hätte, dass es oft auch schwer sei und dass ich auch durchaus manchmal selber weinen müsse, wenn ich so traurige Geschichten erzählt bekomme. Aber ich sagte auch, dass wir oft lachen und lustig sind, dass wir Unterstützung bekommen von erfahrenen Hospizmitarbeitern, dass wir Supervision bekommen und dass wir auch einmal im Jahr ein langes Wochenende eine Freizeit mitmachen dürfen, als Belohnung sozusagen für unsere Arbeit im Hospiz.
Auch die Fragen, wie man denn zu solch einer Hospizarbeit komme, ob es eine Ausbildung gäbe, ob wir was dafür bezahlt bekämen, wie oft wir Dienst machen etc. konnte ich alle beantworten. Nach zwei Stunden zogen sie wieder ab und ich hatte ein gutes Gefühl.
Bei der nächsten Gruppe lief alles ganz anders ab. Der Lehrer, der die 10. Klasse Gymnasium begleitete, war überhaupt nicht vorbereitet, er hatte am Tag vorher erfahren, dass er sie zur Ausstellung begleiten solle. Es hatte sich noch eine Kollegin angeschlossen, die sich die Ausstellung sowieso anschauen wollte.
Die Einführung war die gleiche wie bei der vorherigen Gruppe, doch welch ein Unterschied. Es kam nach kurzer Zeit ein Mädchen zu mir, sie setzte sich auf ein Kissen und weinte heftig. Ich versuchte herauszufinden, was denn so schlimm war und sie erzählte, dass ihre Oma vor kurzem gestorben sei. Dann kam schon die nächste schluchzend ins Zimmer, sie brachte vor lauter Weinen kein Wort hervor. Der Lehrer war total hilflos, die Kollegin auch, da saßen nun die weinenden Mädchen und auch zwei Jungs waren früher zurück gekommen und waren sehr ergriffen, sie kämpften mit den Tränen. Schließlich waren wieder alle Schüler bei mir in dem Raum. Das Weinen steckte an, ich redete und redete, nur um die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Ich war total überfordert, keinerlei Hilfe von den Lehrern und als ich merkte, dass mir auch die Tränen kamen, sagte ich laut:“ Was ist denn das für eine Heulerei, ich fang auch schon an. Also bitte lasst uns reden und fragt, aber hört auf zu heulen, bitte.“
Das half und so kam dann doch noch eine Diskussion zustande, wenn auch zäh und ohne jede Beteiligung der Lehrer. Ich sprach noch mit ihnen als die Schüler schon draußen waren und sagte, dass ich es unverantwortlich fände, die Kinder ohne Vorwarnung in diese Ausstellung zu bringen. Sie hatten sich vielleicht nicht das Material angesehen, welches speziell für Lehrer zusammen gestellt auf der Website des Hospiz abzurufen war.
Als nächstes kam eine Gruppe von AltenpflegerInnen, die waren natürlich souverän, das Sterben gehört wirklich mit zu ihrem Alltag. Da kam die beste Diskussion zustande, wir sprachen auch über Betreuungs- und Patientenverfügung, über Testament und über Angehörige von Sterbenden. Mit dem Leiter dieser Gruppe hatte ich ein langes Gespräch am Ende der Ausstellung und habe dadurch wirklich viel gelernt.
Eine Gruppe der Berufsschule sauste durch die Ausstellung, die ersten saßen nach 10 Minuten auf den Sitzkissen und fingen an, mit ihren Handys zu spielen. Als ich sie fragte, ob sie alles gesehen hätten, ob sie auch im Erdgeschoss gewesen seien, sagten sie: öh, nee, is da auch noch was?
Nach weiteren 10 Minuten waren sie wieder bei mir. Da konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen, was ihr Motto für die Ausstellung gewesen sei: vielleicht „Augen zu und durch?“ „Genau!“ kam es als Antwort. Da konnte ich dann auch nicht mehr viel dazu sagen.
Dann waren noch Erzieherinnen da, die waren auch sehr überfordert, hatten sich noch nie mit dem Thema Sterben befasst, da sie ja immer nur mit kleinen Kindern zu tun hatten. Um so mehr haben sie dann die Fotos gerade der Kinder erschüttert und auch hier flossen Tränen. Doch wir konnten gut miteinander reden und sie haben sicher ein ganzes Stück dazu gelernt, durch diese Ausstellung.
Ein privates Erlebnis: meine Freundin kam auch, um sich die Fotos anzuschauen. Als ich sie suchte, stand sie vor den Fotos des jungen Mannes, der an Aids gestorben war und weinte sehr. „Das ist Janosch, ein Freund meines Sohnes“.
Sie hatte den jungen Mann während eines Besuches bei ihrem Sohn in Hamburg kennen gelernt und hatte natürlich nicht erwartet, ihn hier in Bamberg überlebensgroß als Toten zu sehen. Da half nur, sie in den Arm zu nehmen und zu trösten.
Im Großen und Ganzen hat mir diese Ausstellung und die Diskussion mit den Jugendlichen und deren Lehrern viel gebracht. Es kamen so positive Rückmeldungen, die entschädigten dann auch wieder für die Enttäuschung über unvorbereitete Lehrer und Schüler.